Das von Sitzplätzen geprägte Tynecastle-Stadion der Hearts of Midlothian. (Quelle: Sportimage/imago)
Von Jochen Breideband
Im Stadion, vor dem Fernseher, vor dem Radio. Auswärts, zu Hause. Mit und ohne Fan-Schal. In der Bundesliga, in der Kreisliga, bei der Nationalmannschaft. Wo Fußball gespielt wird, finden sich Fans. Das Fan-Sein hat viele Facetten und Gesichter. FUSSBALL.DE zeigt sie aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Heute im Fokus: der 28-jährige Jan-Henrik Gruszecki und seine Faszination für das Groundhopping.
Not macht erfinderisch. Und sie macht leidensfähig. Für das Derby im schottischen Edinburgh zwischen den Hearts und den Hibs ließ sich kein Ticket mehr auftreiben. Nicht beim Verein, nicht auf dem Schwarzmarkt, nicht auf der Straße, nirgendwo. Jan-Henrik Gruszecki hatte alles versucht. "Ich hätte die Mutter von jemandem entführen können und trotzdem keine Eintrittskarte von ihm im Tausch bekommen", erzählt er.
Viele hätten aufgegeben und wären nach Hause gefahren. Gruszecki nicht. Er schlich sich am Tag vor dem Spiel ins Stadion, schloss sich in einer Toilette ein und kam am nächsten Tag zehn Minuten vor dem Anpfiff wieder raus. Der Weg auf die Tribüne war kein Problem mehr, einen Platz zu finden schon. Denn in Schottland gibt es nur Sitzplätze. Irgendwann in der ersten Halbzeit begannen die Ordner, misstrauisch zu werden. Wer war dieser komische Kerl, der immer wieder den Sitz tauschte?
Gruszecki hatte Glück. Er erspähte auf der Tribüne eine Gruppe von 20 Fans, die lieber stand als zu sitzen, und gesellte sich dazu. Die Gefahr war gebannt. So durfte er miterleben, wie sich in einer turbulenten Schlussphase aus einem 2:2 in der 88. Minute noch ein 4:4 entwickelte. "Die Nacht auf dem Klo hat sich auf alle Fälle gelohnt", sagt Gruszecki mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
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Der 28-Jährige hat schon viele verrückte, bunte und interessante Fußballgeschichten erlebt, denn er ist Groundhopper. Das heißt, er sammelt Spiel- und Stadienbesuche. Von Argentinien bis Andorra, von Brasilien bis Belgien, von Spanien bis Südafrika. Quer über den Globus verteilt, bevorzugt Südamerika. Ob 1. Liga oder Amateurfußball, ob weltweit bekannte Derbys oder absurde Kicks in tiefster Provinz. "Irgendwann möchte ich gerne in jedem Land der Welt mindestens ein Fußballspiel gesehen haben", sagt Gruszecki.
Derzeit liegt er bei 56 Ländern. In Südamerika war er überall, Schwarzafrika und Asien sind die weißen Flecken auf seiner Fußball-Landkarte. Mehr als 600 Stadien hat Gruszecki schon besucht, bei den Spielen hat er aufgehört zu zählen. Seit über zehn Jahren sieht er mindestens 100 Partien jährlich. Besonders aktiv war Gruszecki 2010, als er bei rund 300 Spielen vor Ort war. Er wohnte damals in Buenos Aires. "Das Paradies für Groundhopper", sagt er. 80 Klubs in einer Stadt, jeden Tag Fußball, Fußball, Fußball. Berufung, Leidenschaft, zum Teil Besessenheit
Groundhopper Jan-Henrik Gruszecki. Der Deutsche hat in Argentinien alle Klubs der professionellen Ligen gesehen. Otto-Normal-Fans staunen, für Groundhopper ist es nichts Besonderes. "Ich bin in der Szene nur ein kleines Licht", sagt Gruszecki. Groundhopping ist mehr als ein Hobby, es ist Berufung, Leidenschaft, zum Teil Besessenheit. Gruszecki erzählt von einem Hopper aus England, der seinen Ground nur zählt, wenn er einen Ball aufs Spielfeld zurückgeköpft hat. Auf der Insel gibt es auch den "Klub der 92", in dem nur diejenigen Mitglied werden dürfen, die alle 92 englischen Profiklubs live in deren Stadion gesehen haben.
Vergangenen April ist der 28-Jährige nach Deutschland zurückgekehrt. Gruszeckis Herz schlägt für Borussia Dortmund, der BVB ist sein Verein, seit er ein kleiner Junge war. Die Initialzündung war 1989 Dortmunds DFB-Pokal-Triumph. Im Stadion sah er die Borussia später zum ersten Mal auf der Bielefelder Alm in der ersten Runde des Pokals. "Man wird in anderen Ländern Teil der Gesellschaft und Mentalität"
Als Teenager nutzte er das Ferienticket der Bahn, um immer mehr Auswärtsziele anzusteuern. Jetzt standen auch Traditionsklubs wie Westfalia Herne auf dem Reiseplan. Erste Abstecher ins benachbarte Ausland folgten, die Trips wurden immer länger. "Es wurde nach und nach eine Sucht", erzählt Gruszecki. Die Faszination Groundhopping besteht für ihn aus mehr als nur Fußball. "Man wird in anderen Ländern Teil der Gesellschaft und Mentalität, man blickt nicht nur von außen darauf", schwärmt er. "Dies mit der Leidenschaft für den Fußball zu verbinden – es gibt nichts Schöneres. Fußball ist eine Kultur, die man überall auf der Welt findet und versteht."