Duisburg (RPO). Mehrere hundert Fans versammelten sich am Mittwochabend an der Schauinslandreisen-Arena, nachdem sie die Nachricht von der nicht erteilten Zweitliga-Lizenz für den MSV Duisburg vernommen hatten. Der Protest eskalierte. Wütende Fans stürmten das Stadion, Polizisten mit Tränengas und Schlagstöcken waren im Einsatz.
Es ist kurz vor sieben Uhr am Mittwochabend, als die ersten Fans an der Schauinslandreisen-Arena eintreffen. Sie suchen nach Gleichgesinnten, nach einem Ort, wo ihre Wut, Trauer und Enttäuschung hingehört. Aus ihrer Sicht kann es keinen besseren Ort geben, als dieses Stadion, wo der MSV zu Grabe getragen wurde, wie es später auf einem schnell zusammengekleisterten Plakat heißen wird.
Binnen einer Stunde ist der Vorplatz der Arena voll mit Fans, mit Ultras, mit Schaulustigen und Typen, die anderes im Sinn haben. Doch im Moment des vielleicht letzten Protests gegen das Unausweichliche wird auch die Hilflosigkeit deutlich. Plakate und Schmähgesänge locken die MSV-Verantwortlichen nicht nach draußen. Die Fans können nichts tun. Für die Idioten bleibt nur die Randale.
ür Randale sind Mika Lemmen (12) und Vater Hajo Hahnen nicht gekommen. Mika war sieben Monate als, als er das erste Mal ein MSV-Spiel gesehen hat. "Ich kann einfach nicht glauben, dass jetzt alles vorbei sein soll", sagt der Zwölfjährige. Und genau so fühlt sich die Lizenzverweigerung für die Fans an – "jetzt sind wir endgültig geliefert", sagt Einer im Vorbeigehen. Hajo Hahnen hat wie die überwältigende Mehrheit zwei Hauptverantwortliche für den anscheinend kaum noch abzuwendenden Zwangsabstieg ausgemacht: Roland Kentsch und Walter Hellmich. "Der Hellmich hat mit seiner Gier den Verein kaputt gewirtschaftet. Und der Kentsch wusste doch gar nicht, was er da tat."
Als die Ultras kommen, wird der Ton rauer. "F.... Euch" haben sie auf ein Plakat geschrieben. Sie skandieren Hasstiraden, doch der Funke auf die breite Masse springt nicht über. "Wir sind einfach nur enttäuscht. Rumbrüllen bringt auch nichts mehr", sagt Michaela Gärtner. Sie hat ihren Kopf am Hals ihres Freundes vergraben, der MSV-Schal trocknet die Tränen. Um sie herum bestimmt beißender Galgenhumor die Stimmung: "Lokalduelle gegen Hamborn – wie habe ich die vermisst."
Tatsächlich ist der Abstieg für viele nicht der Grund, warum sie vor der Arena stehen. Sie wollen Erklärungen: "Wie kann man einen Verein, der vor zwei Jahren noch von 25.000 Fans in Berlin unterstützt wurde, so kaputt wirtschaften", fragt ein Kuttenträger. Die glorreichen Erinnerungen aus der Vereinsgeschichte dienen den Diskussionsrunden als versöhnende Momente. Kurz flackert Stolz auf. Doch die Realität lässt sich nicht verdrängen. Diejenigen, die Erklärungen liefern könnten – die Mitglieder des Vorstands – zeigen sich nicht.
Polizei wurde überrascht
Aus Angst, vielleicht aus Scham, ganz sicher aber aus Vernunft. Denn die Stimmung kippt. Aus Frust und Hilflosigkeit wird nun rasende Wut, um kurz nach halb neun Uhr brennen die ersten Fahnen vor der Arena. Die vernünftigen Fans verlassen fluchtartig das Geschehen. Die Schaulustigen gaffen erst, dann wird es auch ihnen zu gefährlich. Denn plötzlich seilt sich ein Trupp ab, bricht Zäune auf und stürmt die Arena. Die Polizei, die bisher nur als Beobachter am Rande die Fans gewähren ließ, ist nun gefordert. Während randalierende Fans in die Arena strömen, zieht die Polizei ihre Kräfte zusammen. Gut 100 Polizisten drängen die Hooligans mit Polizeihunden und Schlagstöcken zurück. Augenzeugen berichten, dass die Beamten auch Tränengas eingesetzt hätten. Einige Randalier werden festgenommen. Dann bilden die Beamten eine Kette um die Arena. Doch die Meute hat noch nicht genug. Mit Bierflaschen werden die Scheiben der verhassten Arena eingeschmissen, Fahnenmasten mit dem Schriftzug der Hellmich-Gruppe aus der Verankerung gerissen.
Zwei Züge der Polizei sind nun im Einsatz. Ein Führungskommando wird noch am späten Abend gebildet. Gegen 22 Uhr ist die Lage wieder halbwegs beruhigt. "Die Einsatzkräfte sind gegen etwa 600 Fans vorgegangen, die im Zuge ihrer Protestaktion randalierten", sagt ein Polizeisprecher. Offenbar wurden die Polizei überrascht. Denn damit, dass die Fans überhaupt ins Stadion gelangen konnten, hatte offenbar niemand gerechnet. Eine der wenigen richtigen Entscheidungen des Abends trifft hingegen ein Kamerateam von Sky. Als die Vertreter des Bezahlsenders an der Arena auftauchen, findet die Fanwut ein willkommenes Ziel. Nach wüsten Beschimpfungen zieht das Team sich zurück.