In Aachen terrorisiert eine Ultra-Gruppe mit Kontakten zur Neonazi-Szene andere Hardcore-Anhänger aus dem linken Spektrum und die Fanbeauftragte der Alemannia. Der Verein kündigte an, entschlossen gegen die Rechten vorzugehen.
Prügeleien in der eigenen Fankurve; eine Fanprojekt-Leiterin, der von rechten Fans der Zutritt zur Kurve verwehrt wird: Was wie ein Fantasieprodukt eines drittklassigen Drehbuchschreibers klingt, ist beim Zweitligisten Alemannia Aachen traurige Realität. In der Fanszene des Traditionsvereins ist ein Konflikt entbrannt, von dem derzeit keiner weiß, ob er zu schlichten sein wird. Denn es geht - auch - um Politik.
Die Alemannia hat zwei verfeindete Ultra-Gruppen. Die Karlsbande (rund 180 Personen), die von sich behauptet, "unpolitisch" zu sein, aber kein Problem damit zu haben scheint, dass Neonazis in ihrem Umfeld agieren. Und die Aachen Ultras (ACU, etwa 80 Mitglieder), die sich als antirassistische Gruppierung sieht. Dass letztere am Tivoli immer mehr unter Druck gerät, konnte am 11. Dezember jeder sehen, der sich eine Karte für das Spiel gegen Aue gekauft hatte. "20 bis 30 Aachen-Fans überfielen plötzlich den Block von ACU", berichtet ein Anhänger aus Hessen, der vor Ort war. "Die waren zum Teil vermummt." Die ACU-Mitglieder äußern sich auf Presseanfragen nicht zu den Ereignissen - aus Angst vor weiteren Auseinandersetzungen? Auf ihrer Homepage bestätigt ACU allerdings indirekt den Überfall und berichtet, dass es dabei auch zu Rufen wie "Homos", oder "Verpisst euch, ihr Juden" gekommen sei.
Was den Beobachter der Szene noch mehr erschrak, war jedoch, dass der gewalttätige Mob Unterstützung erhielt: "Da überfallen Fans die eigenen Leute und werden dabei von der Tribüne aus angefeuert, wo auch noch rechte Parolen gegrölt werden."
Gewaltbereite Neonazi-Bande in der Kurve
Kristina Walther, Leiterin des Aachener Fanprojekts, meint zu wissen, was die rechten Fans, darunter offenbar auch einige Alemannia-Hooligans, zu dem konzertierten Angriff verleitet hat. Drei Tage zuvor musste sie bei der vom Fanprojekt veranstalteten Lesung des Autors Ronny Blaschke ("Angriff von Rechtsaußen - Wie Neonazis den Fußball missbrauchen") eine Handvoll Ultras der Karlsbande des Raumes verweisen - vor der Tür standen Interessierte, die sich wegen der stadtbekannten Rechtsaußen-Sympathisanten nicht zur Lesung trauten: "Ab dann wurde es richtig massiv", sagt Walther.
Nur eine Woche später verwehrten Mitglieder der Karlsbande und Angehörige der rechten Szene beim Auswärtsspiel in Braunschweig den etwa 60 mitgereisten ACUlern den Zutritt zum Fanblock. Nur eine Polizeikette verhinderte Schlimmeres. Auf Veranlassung des Braunschweiger Sicherheitsbeauftragten wurden die ACUler daraufhin zu den entfernt liegenden Sitzplätzen geführt.
Im Gästeblock positionierten sich derweil nebst einigen Dutzend Sympathisanten der rechten Szene etwa 15 Neonazis, darunter auch Aktivisten der Kameradschaft Aachener Land (KAL). Die KAL ist eine der gewaltbereitesten neonazistischen Banden der Republik. Im Landesverfassungsschutzbericht für 2010 warnt das Innenministerium, sie hantiere auch mit Sprengstoff.
In Braunschweig geriet auch die Fanprojekt-Leiterin selbst ins Visier der Rechten. Als Walther den Auswärtsblock betreten wollte, versperrten pöbelnde Fans auch ihr den Zugang zum Block. Nach Aussage mehrere Augenzeugen wurde die Sozialpädagogin, die im Fanprojekt allein arbeitet, dabei so unflätig beschimpft, dass sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte zu einer Stellungnahme genötigt sah. "Der Auftrag von Frau Walther umfasst auch die Bekämpfung extremistischer Tendenzen in der Fanszene", heißt es. "Offensichtlich hat genau diese Arbeit einen wunden Punkt bei einem kleinen Teil der Aachener Fanszene getroffen."
Neonazi fordert Auflösung des Fanprojektes
Dass genau das zutrifft, beweist auch ein Brief, den der NPD-Kader und langjährige Alemannia-Fan Sascha Wagner an den Verein schrieb: "Das Fanprojekt wurde installiert, um gewachsene Strukturen zu zerstören", heißt es in dem Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. "Wir sind gegen jegliche Kleiderordnung und hören die Musik, die wir hören wollen (..). Zeigt den Aachen Ultras die Rote Karte! Löst das Fanprojekt auf!"
Die Verantwortlichen der Alemannia sind sich des Problems bewusst. "Vor der aktuellen Lage darf und wird der Verein seine Augen nicht verschließen", sagt Geschäftsführer Frithjof Krämer. "Leider lassen Vertreter der Karlsbande ihrer zu Anfang signalisierten Bereitschaft, die Vorfälle aufzuarbeiten, keine Taten folgen. Im Gegenteil: Zwischenzeitlich kam es wieder zu gewalttätigen Übergriffen innerhalb unserer Fanszene."
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Statements, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. Hingegen bekleckerte sich ein anderer Profiverein nicht eben mit Ruhm: Als die mit ACU befreundeten Freiburger Ultras Wilde Jungs ein Solidaritätsplakat hissen wollten ("Aachen Ultras bleiben - Nazis vertreiben") wurde ihnen das vom Sicherheitschef des Erstligisten untersagt. Die Begründung: "Politische Äußerungen" seien nicht erwünscht. Immerhin: Beim SC hört man, das damalige Vorgehen sei einem mittlerweile unangenehm. Auch Aachens Fanprojektleiterin Walther ("ich habe die Gefahr lange unterschätzt") will sich nicht einschüchtern lassen. Sie hofft dabei auch auf mehr Nachdenklichkeit in der Fanszene. Viel zu oft höre sie noch Verharmlosungen getreu der Devise "Das mögen ja Leute mit komischen Ansichten sein, aber hier geht's ja um Fußball." Das gleiche merkwürdige Denken komme auch Neonazi Wagner zugute. "Der hat bei vielen Fans allein deshalb ein Standing, weil er seit gefühlten 100 Jahren Alemannia-Fan ist."
In Frithjof Kraemer ("Aus Sicht der Alemannia ist das Maß voll") scheint Walther einen Mitstreiter gefunden zu haben. "Es gibt keine Akzeptanz für Gewalt und rassistische Agitationen im Stadion", sagt der Alemannia-Geschäftsführer. "Wir werden es nicht zulassen, wenn gegen Institutionen, die im Sinne einer positiven Fankultur wirken, vorgegangen wird."